‘GovTech‘ beschreibt Technologien, die Leistungen und Prozesse im öffentlichen Sektor digitalisieren. Ganz direkt gefragt: Was bringt das?
Digitale Lösungen verbessern weltweit für die Menschen den Zugang zu wichtigen Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialleistungen und können damit sogar Leben retten, wie die COVID-19-Pandemie zuletzt eindrucksvoll gezeigt hat. Die Digitale Transformation von Regieren und Verwalten hat in den letzten Jahren daher einen enormen Aufschwung erlebt. Im Kern geht es darum, wie der Staat technologische Fortschritte zum Wohle der BürgerInnen einsetzen kann. In Krisenzeiten wird besonders deutlich, wie – bei allen Risiken der Digitalisierung – GovTech-Lösungen Vorteile mit sich bringen können. Nehmen wir das Beispiel Ukraine: Deren digitale öffentliche Infrastruktur erwies sich an vielen Stellen als äußerst resilient gegen Bomben und Raketen. Die BürgerInnen in der Ukraine können weiterhin ein Gewerbe anmelden, staatliche Leistungen beantragen oder Kriegsschäden melden, weil die digitale Verwaltung trotz der russischen Angriffe funktioniert.
Wie sieht es denn in Deutschland in Sachen GovTech und digitaler öffentlicher Infrastruktur aus?
Tatsächlich gibt es in Deutschland eine wachsende GovTech-Szene, in der Behörden und Unternehmen gemeinsam digitale Lösungen vorantreiben, beispielsweise Plattformen zur Verbesserung der Bürgerbeteiligung, eGovernment-Systeme zur Vereinfachung von Verwaltungsprozessen oder Smart-City-Lösungen zur Optimierung städtischer Infrastrukturen. Weltweit sind immer noch ein Drittel der Menschen offline, dagegen liest man bei uns viel Jammern auf höchstem Niveau. Die deutsche Digitalszene ist im weltweiten Vergleich sehr viel besser als ihr Ruf, nicht zuletzt aufgrund der hervorragenden Forschungseinrichtungen. Dabei ist unsere GovTech-Szene oft noch zu stark auf die Verwaltung im deutschen Föderalismus fokussiert. IKT-Märkte gibt es aber auch im Globalen Süden: Arbeitsmärkte, Datenmärkte, Absatzmärkte. Da würde ich mir mehr Offenheit und Mut wünschen. Es gibt allein auf dem afrikanischen Kontinent 2.000 FinTechs – da kann man viel lernen, kooperieren, mitwachsen und mit herausragenden deutschen Lösungen das Geschäft beleben.
Welchen Ansatz verfolgt das BMZ, um digitale öffentliche Infrastruktur zu fördern?
Die Bundesregierung erarbeitet dieses Jahr erstmals eine internationale Digitalstrategie. Im Vorgriff darauf hat das BMZ bereits 2022 in der nationalen Digitalstrategie die GovStack-Initiative als Leuchtturm benannt. GovStack bietet einen Baukasten für sichere und vertrauenswürdige digitale Verwaltungsdienste. Vom Identitätsmanagement über Bezahlsysteme bis hin zu Datenbanken mit entsprechenden Schnittstellen stellt GovStack kombinierbare Bausteine als digitale öffentliche Güter bereit. Diese können von Behörden weltweit wiederverwendet und nach ihren Bedürfnissen angepasst werden. Die entwickelten Lösungen fließen in das Netzwerk der Initiative zurück und sind dadurch für alle Partner nutzbar – übrigens auch von Deutschland.
Das klingt so, als könnten wir von unseren Partnerländern im Bereich GovTech noch lernen?
Klar. Was in Kigali oder Kiew funktioniert, kann auch in Kreuzberg oder Kiel helfen. Wenn die in Schwellenländern entwickelten Technologien in Industrieländern zum Einsatz kommen, nennt man das ‚Reverse Innovation‘. So haben deutsche Gesundheitsämter während der COVID-19-Pandemie zur Kontaktnachverfolgung auf die Open-Source-Software SORMAS zurückgegriffen, die das BMZ ursprünglich mit Blick auf das Pandemiemanagement von Ebola finanziert hatte. Wir wollen ausloten, welche Ideen aus der internationalen Zusammenarbeit uns auch in Deutschland weiterbringen. Dazu setzen wir auf innovative Partner wie den GovTech-Campus, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, digitale Lösungen für den öffentlichen Sektor in Deutschland zu befördern. Denn eines ist klar: Von vertrauensvollen digitalen Partnerschaften – auf nationaler wie internationaler Ebene – profitieren am Ende alle.
Welche Botschaft möchten Sie den Leser*innen von [digital.global] mitgeben?
Unser aller Ziel sollte eine soziale und ökologische digitale Transformation sein. Wir alle – ob wir nun in der Politik, in der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft oder Wissenschaft tätig sind – sollten sie aktiv und werteorientiert mitgestalten: eine Digitalisierung, die bestehende Klüfte schließt, anstatt sie zu vergrößern – gerade die zwischen Frauen und Männern. Eine Digitalisierung, die Hunger und Armut mindert, das Klima schützt und zukünftige Pandemien verhindert.