Das Thema Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant – keine Zeitung, kein Nachrichtenportal, in dem sich nicht jeden Tag gleich mehrere Meldungen mit dem Thema beschäftigen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich dieser dynamische Prozess überhaupt gestalten lässt, hinken wir nicht zwangsläufig immer hinterher?

Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich in der Tat in einem rasanten Tempo und es stimmt, dass die Geschwindigkeit des Wandels uns manchmal das Gefühl gibt, ständig hinterherzuhinken. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir, wenn wir es wollen, KI so gestalten können, dass alle davon profitieren.

Der jüngste Zukunftsgipfel in New York hat deutlich gezeigt, was wir erreichen können, wenn globale Akteure zusammenkommen. Die Staats- und Regierungschefs der Welt haben am 22. September den Zukunftspakt verabschiedet, um die internationale Zusammenarbeit an die Realitäten von heute und die Herausforderungen von morgen anzupassen. Mit der Festlegung eines globalen Fahrplans für die Zusammenarbeit unterstreicht der Pakt, wie wichtig es ist, den technologischen Fortschritt so zu gestalten, dass er gemeinsamen Bedürfnissen der internationalen Gemeinschaft gerecht wird. Derselbe Ansatz wurde im Global Digital Compact – einem der Anhänge des Pakts – aufgenommen, der konkrete Maßnahmen zur Nutzung digitaler Technologien, einschließlich Künstlicher Intelligenz, und zur Überwindung der digitalen Kluft vorsieht.

Diese globalen Initiativen zeigen uns, dass wir das Tempo der Innovation zwar nicht immer kontrollieren können, dass wir aber die Macht – und die Verantwortung – haben, ihre Richtung zu bestimmen. Vor allem aber müssen wir dafür sorgen, dass der Globale Süden im Zentrum dieser Bemühungen bleibt. Das bedeutet, dass wir Investitionen bevorzugen, die unsere Partnerländer dabei unterstützen, Grundlagen zu schaffen, die ihnen eine umfassende Nutzung der KI ermöglichen – einschließlich Daten, Rechenleistung und qualifizierten Fachkräften.

Künstliche Intelligenz für menschliche Entwicklung? Darüber stolpert mancher sicher erst einmal. Deswegen an Sie die Frage: Welche Bedeutung hat diese Technologie ausgerechnet für die internationale Zusammenarbeit und konkret die Arbeit des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP)?

Künstliche Intelligenz kann die menschliche Entwicklung beschleunigen, indem sie bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen hilft – von der Verbesserung der Gesundheitsversorgung über die Eindämmung des Klimawandels bis hin zur Förderung einer inklusiven Regierungsführung. Damit KI jedoch ein echter Katalysator für die globale Entwicklung ist, muss sie inklusiv und gerecht sein und verantwortungsvoll gehandhabt werden. Internationale Zusammenarbeit ist hierfür der Schlüssel. Kein Land und keine Organisation kann die Vorteile von KI im Alleingang voll ausschöpfen. Insbesondere dann, wenn das Ziel darin besteht, Lösungen zu schaffen, die allen Menschen zugutekommen und nicht nur für die technologisch Fortgeschrittenen funktionieren. Es ist entscheidend, denjenigen Vorrang zu geben, die am meisten Gefahr laufen, zurückgelassen zu werden.

Für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen bedeutet dies, dass wir unsere Partnerregierungen, von denen die meisten im globalen Süden angesiedelt sind, dabei unterstützen, nationale KI-Strategien zu entwickeln. Wir investieren massiv in Programme zum Aufbau von Kapazitäten, um unsere Partnerländer nicht nur in die Lage zu versetzen, digitale Technologien und KI zu nutzen, sondern auch, um aktive Teilnehmende und gleichberechtigte Partner*innen bei ihrer Entwicklung und Verwaltung zu sein. Dazu gehört, dass wir digitale Kompetenzen und das Wissen über KI bei politischen Entscheidungsträger*innen fördern und die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, die eine ethische und sichere Nutzung von KI gewährleisten. Ebenso unterstützen wir Bildungseinrichtungen bei der Entwicklung von KI-Lehrplänen und arbeiten mit dem Privatsektor zur Förderung lokaler KI-Talente zusammen. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der italienischen G7-Präsidentschaft haben wir beispielweise den KI-Hub für nachhaltige Entwicklung ins Leben gerufen, der sich in Kooperation mit afrikanischen Ländern auf zentrale Sektoren wie Energie, Landwirtschaft, Gesundheit, Wasser, Bildung und Infrastruktur konzentriert, um das transformative Potenzial von KI zu nutzen.

Welche Risiken sehen Sie in der Nutzung von KI für unsere Partnerländer und wie kann die globale Gemeinschaft diesen Herausforderungen wirksam begegnen, ohne die Potenziale zu verschließen?

Bevor wir die Vorteile der Künstlichen Intelligenz in vollem Umfang nutzen können, ist es wichtig, die Ungleichheiten beim Zugang zu Ressourcen und Infrastrukturen zu erkennen. Der Globale Süden hat keinen Zugang zu Rechenkapazitäten für KI und weniger als zwei Prozent der weltweiten Rechenzentren befinden sich in Afrika. Darüber hinaus stammen die meisten KI-Trainingsdaten aus dem Globalen Norden, sodass viele Regionen des Globalen Südens unterrepräsentiert sind, insbesondere wenn es um lokale Sprachen und Kontexte geht. In vielen unserer Partnerländer mangelt es auch an umfassenden KI-Strategien und -Richtlinien, die für verantwortungsvolle KI-Innovationen und -Anwendungen erforderlich sind. Die Länder des Globalen Südens hinken in Bezug auf KI-Kompetenzen hinterher. Es mangelt an Forscher*innen und Praktiker*innen, was die Kluft noch vergrößert. Darüber hinaus stellt die datenbedingte Voreingenommenheit in KI-Systemen (sogenannte biases) nach wie vor eine Herausforderung dar, die die Ungleichheiten häufig noch verstärkt.

Diese Risiken wirken sich unweigerlich auf kritische Bereiche wie KI-Sicherheit und ethische Nutzung auf globaler Ebene aus. Um sie zu minimieren, müssen wir uns auf den Aufbau lokaler Kapazitäten und Infrastrukturen in unseren Partnerländern konzentrieren. Dazu gehören Investitionen in digitale Kompetenzen, die Schaffung eines soliden Rechtsrahmens und die Gewährleistung eines umfassenden Datenmanagements. Es ist wichtig, den Zugang zu Künstlicher Intelligenz und Daten zu demokratisieren, um sicherzustellen, dass sie Entwicklung vorantreiben und nicht Ungleichheiten verfestigen.

Die Hamburg Sustainability Conference soll den Weg ebnen für eine „Hamburg Declaration on Responsible AI“, eine offizielle Erklärung, die 2025 verabschiedet wird. Ziel ist die verantwortungsvolle Nutzung von KI, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und allen gleichermaßen zugutekommt. Wie kann das gelingen und welche Rolle sehen Sie dabei für UNDP?

Wir brauchen dringend einen gemeinsamen Ansatz, der menschliches Wohlergehen, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Wir hoffen, dass wir auf der ersten Hamburg Sustainability Conference durch einen offenen Multi-Stakeholder-Dialog den Grundstein für die „Hamburg Declaration on Responsible AI for the SDGs“ legen können, indem wir übergreifende Prinzipien für den Einsatz verantwortungsvoller KI für nachhaltige Entwicklung festlegen. Diese Prinzipien, die auf fünf Säulen basieren – Menschen, Umwelt, Wohlstand, Frieden und Partnerschaften – werden die Vision eines gemeinsamen globalen Handelns vorantreiben.

Ich sehe die Rolle des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) darin, dabei zu helfen, die bestehenden Ungleichheiten in Bezug auf Ressourcen, Zugang und Fähigkeiten zu beseitigen. Schließen wir diese Lücken nicht, werden weiterhin nur einige wenige von KI profitieren, während die anderen zurückbleiben. Damit KI allen zugutekommt, müssen wir Ressourcen mobilisieren, um die Fertigkeiten im Umgang mit Künstlicher Intelligenz in unseren Partnerländern zu verbessern.

Gleichzeitig muss unser praktisches Handeln durch ein festes Bekenntnis zu gemeinsamen Grundsätzen, globalen Governance-Standards und integrativen Rahmenwerken untermauert werden. KI-Systeme müssen transparent und rechenschaftspflichtig sein und sich an den Menschenrechten orientieren. Unsere Arbeit im Rahmen der Hamburg Sustainability Conference kann wegweisend sein. Hier stellen wir klare Richtlinien auf, die Fairness in den Vordergrund stellen, Vorurteile abbauen, vor potenziellen Schäden schützen und den Weg für die Nutzung von KI-Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung aufzeigen.

Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht die Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft in der Umsetzung der Hamburg Declaration, welchen Beitrag können beide leisten, damit KI verantwortungsvoll gestaltet wird?

Sowohl der Privatsektor als auch die Zivilgesellschaft spielen eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Grundsätze der Erklärung. Als Schrittmacher des technischen Fortschritts trägt der Privatsektor eine große Verantwortung dafür, KI-Technologien im Einklang mit den Menschenrechten zu entwickeln und nachhaltig einzusetzen. Unternehmen können ethische Standards direkt in den Design- und Entwicklungszyklus integrieren – sei es durch verantwortungsvolle Datenmanagementpraktiken, transparentes Design von Algorithmen oder faire KI-Governance-Rahmenbedingungen.

Die Zivilgesellschaft spielt eine gleichermaßen wichtige Rolle als Anwältin und Expertin der Menschen. Zivilgesellschaftliche Organisationen können die Entwicklung der KI und ihre Auswirkungen auf gefährdete gesellschaftliche Gruppen beobachten und Alarm schlagen, wenn Technologien drohen, Ungleichheiten zu verschärfen oder Menschenrechte zu verletzen.

Ein weiterer wichtiger Akteur, der in dieser Diskussion mehr Aufmerksamkeit verdient, ist die Jugend. Der afrikanische Kontinent hat die jüngste Bevölkerung der Welt: 70 Prozent der Menschen in Subsahara-Afrika sind unter 30 Jahre alt. Für eine nachhaltige Entwicklung sind von der Jugend entwickelte, genutzte und unterstützte Innovationen entscheidend. Junge Menschen haben die einzigartige Fähigkeit, KI zur Bewältigung realer Herausforderungen einzusetzen. Junge Menschen müssen nicht nur Teil der KI-Gemeinschaft sein, sondern brauchen auch ein Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung auf allen Ebenen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Weiterentwicklungen Künstlicher Intelligenz die Bedürfnisse und Bestrebungen künftiger Generationen widerspiegelt.