Auf dem Weg zu einer feministischen digitalen Entwicklungszusammenarbeit
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Mit der Verkündung einer feministischen Entwicklungspolitik hat sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) das Ziel gesetzt, die Wurzeln von Ungerechtigkeit zu adressieren und sich verstärkt für eine (geschlechter-)gerechte Gesellschaft einzusetzen.
Mit dem neuen Leitungsschwerpunkt geht nicht nur eine feministische Grundüberzeugung sowie ein Zielbild einher, sondern auch die konkrete Aufgabe, Feminismus auf allen Ebenen voranzubringen. Bisherige Themenbereiche und Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit müssen in den kommenden Jahren deshalb neu gedacht und mit einem feministischen Ansatz verknüpft werden. Was bedeutet das für die Digitalisierung in der deutschen Entwicklungspolitik? Wie können die beiden Querschnittsthemen digitale Transformation und Feminismus in Zukunft stärker zusammengedacht werden? Was wird wichtiger auf dem Weg zu einer digitalen feministischen Entwicklungszusammenarbeit? Im Jahr 2023 werden drei Bereiche an Bedeutung zunehmen und verstärktes Engagement erfahren:
1. Mehr Intersektionalität
Schon heute setzt sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit für die Überwindung von Ungleichheit in der digitalen Transformation ein – insbesondere der digitalen Geschlechterkluft (Gender Digital Divide) – und nutzt digitale Lösungen für inklusivere und gleichberechtigte Teilhabe. Im Zuge einer feministischen Entwicklungspolitik wird ein intersektionaler Ansatz, der die Verschränkungen und Wechselwirkungen von Diskriminierung und Ungleichheit adressiert, an Bedeutung zunehmen. Digitale Projekte und Lösungen werden sich stärker die Frage stellen müssen, inwiefern sie unterschiedliche Hintergründe und Positionierungen von Menschen anerkennen und berücksichtigen.
Wie das in der Umsetzung konkret aussehen kann, zeigt die in Mexiko entwickelte “APP Morada”. Die Anwendung bietet Ressourcen sowie Informationen zu Unterstützungsangeboten für Frauen an, die Gewalt erfahren. Die Besonderheit: Die App wurde von und mit Frauen mit Behinderungen entwickelt, ist barrierefrei und geht auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Zielgruppe ein.
2. Einsatz für feministische Technologien
Dass digitale Technologien keine geschlechtsneutralen Werkzeuge sind, sondern die gesellschaftliche Realität und damit bestehende Machtstrukturen widerspiegeln, ist heute keine Neuigkeit mehr. Feminismus in digitalen Fragen voranzubringen, bedeutet deshalb mehr als das Schließen von digitalen Klüften und der effektive Einsatz von digitalen Tools.
Vielmehr geht es darum, dazu beizutragen, dass bisher marginalisierte Gruppen digitale Technologien und das Internet aktiv mitgestalten und verändern können. Konkret bedeutet das für eine feministische digitale Entwicklungszusammenarbeit, zum einen mehr kritische und intervenierende Fragen zu stellen: Wer und für wen wird eine Technologie entwickelt? Ist sie für alle zugänglich? Wer wird durch sie befähigt? Zum anderen bedeutet es die Förderung von (feministischen) Prinzipien wie Zugang, Beteiligung, freie Software und Datenschutz. Auch wenn es kein einheitliches Verständnis von feministischer Technologie gibt, existieren vielversprechende Ansätze und Konzepte, die für die Entwicklungszusammenarbeit relevant sind, z. B. die Feminist Principles of the Internet oder Data Feminism.
3. Zusammenarbeit mit der feministischen digitalen Zivilgesellschaft
Was für die feministische Entwicklungspolitik in grundsätzlicher Hinsicht gilt, muss auch für ihre Umsetzung in digitalen Fragen gelten: Für das praktische Zusammendenken von Feminismus und digitaler Transformation ist die Arbeit mit der Zivilgesellschaft, insbesondere im globalen Süden, unersetzlich. Die Zivilgesellschaft ist nicht nur die zentrale Triebkraft für soziale Gerechtigkeit. Verschiedene global vernetzte zivilgesellschaftliche Initiativen verbinden bereits seit langem feministische Politik und Digitalisierung. So schafft das Women’s Rights Programme der Association for Progressive Communications (APC) mit dem Feminist Tech eXchange seit mehr als zehn Jahren einen Austausch- und Kooperationsraum für einen kreativen und strategischen Einsatz von Technologien in und für die feministischen Bewegung. Die vielfältigen Erfahrungen kann und sollte eine feministische digitale Entwicklungszusammenarbeit aufnehmen und feministische Perspektiven aus dem globalen Süden stärken.
Auf dem Weg zu einer feministischen digitalen Entwicklungszusammenarbeit gilt es, auf den bisherigen Erfahrungen für eine (geschlechter-)gerechte Digitalisierung aufzubauen. Gleichzeitig sind neue und vor allem mutige Schritte zu gehen. Denn der Erfolg feministischer digitaler Entwicklungszusammenarbeit misst sich auch daran, wie radikal der transformative Anspruch beider Querschnittsthemen umgesetzt wird. Das Jahr 2023 bietet dafür einen besonderen Möglichkeitsraum, nicht zuletzt durch die strategische Neuausrichtung der Digitalpolitik des BMZ oder der Veröffentlichung einer Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik.
Das Ergebnis: Eine Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik
Nach umfangreichen Diskussionen mit der deutschen und internationalen Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen und der Wissenschaft hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze am ersten März 2023 ihre Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik vorgestellt.
Hier finden sie die offizielle Pressemitteilung und die gesamte Strategie