Vietnam Works – Wie Daten eine evidenz-informierte Arbeitsmarktpolitik stärken können

© GIZ / Simon Parthum

Hanoi, 6:30 Uhr – es ist noch früh, doch die Stadt ist bereits auf den Beinen. Die engen Straßen sind gefüllt mit Roller-Fahrer*innen auf dem Weg zur Arbeit – zeitgleich verkaufen Straßenhändler*innen entlang der Gehsteige heiße Phở und Eiskaffee und neue Gebäudeelemente werden auf einer der vielen Baustellen angeliefert. Das geschäftige Treiben der Bewohner*innen Hanois ist überall zu spüren.

Vietnams Wirtschaft wächst derzeit schneller als jede andere in Asien. Selbst während der Covid-19-Krise hat das Land erhebliche ökonomische Fortschritte erzielt. Während unterbrochene Lieferketten, Fachkräftemangel und die Energiekrise im Jahr 2022 für viele eine stagnierende Entwicklung bedeuteten, wuchs die Wirtschaft Vietnams um acht Prozent. Gleichzeitig stiegen die Inlandspreise deutlich langsamer als in vielen anderen Ländern der Welt. Von einer globalen Wirtschaftskrise ist so gut wie nichts zu spüren. Das Gegenteil ist der Fall: Vietnam zieht derzeit viele internationale Unternehmen und Investitionen an.

8:00 Uhr – Dr. Khanh kommt in ihr Büro im Ministry for Labor, Invalids and Social Affairs (MOLISA), welches sich im Zentrum von Vietnams pulsierender Hauptstadt befindet. Sie arbeitet als Beraterin für das Department of Employment (DoE) des Ministeriums und befasst sich insbesondere mit dem Prozess der Bereitstellung wissenschaftlicher Evidenz für politische Entscheidungsfindung. Letztes Jahr haben sie und ihre Kollegen sich mit dem Team des GIZ Regional Cooperation Programme for TVET Development in ASEAN (RECOTVET) und der globalen Data4Policy-Initiative zusammengesetzt, um über die aktuelle Arbeitsmarktsituation und vor allem über die Informationslücken zu sprechen, welche Entscheidungsträger*innen bei der Entwicklung von effektiven Maßnahmen und Empfehlungen für regionale Beschäftigungsförderungen vor Herausforderungen stellen. Ihrer Meinung nach gibt es drei Bereiche, wo quantitativen Daten einen großen Mehrwert bieten können:

    1. Vorhersage des Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräften, insbesondere für „grüne Jobs“, bspw. im Energie-, Logistik- und Tourismussektor
    2. Übersicht an Arbeitskräften, welche gegenwärtig einen Job suchen sowie ein besseres Verständnis der Qualifikationsprofile, die in den kommenden Jahren gefragt sein werden
    3. Monitoring überregionaler Arbeitsmigration und der durch externe Faktoren wie Covid-19 beeinflussten Arbeitsmarktdynamiken

Auf ihrem Schreibtisch hat Dr. Khanh eine Übersicht des aktuellen Datenökosystems des Ministeriums sowie über die Vereinbarungen zur gemeinsamen Nutzung von Daten mit benachbarten Behörden wie dem General Statistics Office (GSO) und dem Institute of Labor and Social Affairs (ILSSA). Vor einigen Monaten gab sie gemeinsam mit dem GIZ-Projektteam eine Studie in Auftrag, welche unter anderem Interviews mit den relevanten Akteur*innen umfasste, um die Qualität, die Erhebungsintervalle und die Zugänglichkeit bereits verfügbarer Statistiken und Verwaltungsdaten zu bewerten. Außerdem wurden private Dateneigner (z.B. Personalvermittlungsunternehmen und Online-Jobplattformen) kontaktiert, um einen ersten Eindruck von ihrer Bereitschaft zum Teilen nicht-traditioneller Daten zu erhalten. Die Kartierung des Datenökosystems wurde sehr positiv aufgenommen, da sie Entscheidungsträgern eine Grundlage bietet, akute politische Fragestellungen und Informationslücken strategischer anzugehen.

14:00 Uhr: Gleich nach dem Mittagessen hat das Team von Dr. Khanh ein wichtiges Meeting. Die kürzlich eingerichtete Task Force[1] für Arbeitsmarktinformationssysteme trifft sich heute, um weitere Maßnahmen zur Entwicklung eines flexibleren, effizienteren und nachhaltigeren Arbeitsmarktes unter der Resolution 06/NQ-CP festzulegen. Als Plattform verbessert die Task Force bereits die Kommunikation zwischen den verschiedenen Regierungsstellen und Behörden. Ein praktischer Anwendungsfall zu Online-Jobplattform-Daten fügt dem eine technische Dimension hinzu. Das übergeordnete Ziel der Task Force besteht darin, die administrativen und infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen, um Verwaltungsdaten, Umfragen, Statistiken sowie nicht-traditionelle Daten effizient zu erheben, zu teilen und als Entscheidungsgrundlage aufzubereiten. Gemäß der Vision von MOLISA soll das Arbeitsmarktinformationssystem schlussendlich als verbindliche Grundlage für die Gestaltung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung von beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Strategien fungieren.

15:30 Uhr: Herr Dung verlässt das Ministerium. Er hatte gerade ein Vorstellungsgespräch im DoE für eine Stelle als Forschungsassistent. Das Gespräch verlief gut und die Aufgaben scheinen sehr interessant zu sein. Wenn alles klappt, wird er als Ansprechperson zwischen dem wissenschaftlichen Think Tank ILSSA und den Entscheidungsträger*innen im Ministerium fungieren. Die Ausschreibung hatte er zufällig auf ein Stellenportal online gefunden und sich sofort beworben.

Immer mehr junge Vietnamesen melden sich auf Online-Jobplattformen wie TopCV, VietnamWorks, CareerBuilder oder JobsGO an – nicht nur, um sich einen Überblick über den aktuellen Arbeitsmarkt zu verschaffen, sondern auch, um ihr Kompetenzprofil zu erweitern. Sie können aus einem breiten Angebot an Kursen (z.B. zum Erlernen von Programmiersprachen oder Moderationstechniken) sowie aus Online-Communities wählen, um ihr Wissen mit Gleichgesinnten zu teilen. Aggregierte Daten von solchen Plattformen können den Entscheidungsträger*innen helfen, einen besseren Eindruck der Nachfrage und des Angebotes bestimmter Jobprofile zu erhalten. Mit diesen Informationen können sie effizienter mit Berufsschulen und Universitäten zusammenarbeiten. Allerdings hat das Ministerium bisher noch wenig Erfahrung in der Zusammenarbeit mit privaten Dateneigentümern und entsprechenden Übereinkünften zum Teilen von Daten. Das Potenzial der Informationsquelle wurde erkannt – nun müssen die rechtlichen und auch technischen Voraussetzungen geprüft werden.

© GIZ / Simon Parthum

17:00 Uhr: Dr. Khanh‘s Arbeitstag ist vorbei, und sie bahnt sich mit ihrem Roller einen Weg durch den dichten Berufsverkehr. Kurz vor ihrer Wohnung hält sie noch bei einem kleinen Obst- und Gemüsemarkt an, um ein paar Zutaten für das Abendessen zu besorgen. Viele der Verkäufer*innen an den Marktständen kennt sie schon lange. Die meisten von ihnen haben keinen festen Arbeitsvertrag – sie sind Teil des informellen Arbeitsmarktes. Dr. Khanh ist sich bewusst, dass trotz ihrer Bemühungen, mehr datengestützte Erkenntnisse in den politischen Entscheidungsprozess des Ministeriums einzubringen, ein Großteil der Dynamik des vietnamesischen Arbeitsmarktes weiterhin schwer zu beobachten sind. Das Gleiche gilt für die so genannte Gig-Economy, die sich in Vietnam immer größerer Beliebtheit erfreut, zum Beispiel bei der Buchung von Fahrdiensten und Essenslieferungen. Aber sie ist zuversichtlich, dass die Regierung mit neuen Technologien und hochwertigen Datenquellen in der Lage sein wird, ihren Bürger*innen bessere Leistungen zu bieten und ihre Arbeitsplätze sicherer, zukunftsorientierter und resilienter zu gestalten. Auch ihren eigenen.

 

In diesem Projekt für mehr Daten-basierte Politikgestaltung arbeitet das vietnamesische Ministry of Labor, Invalids and Social Affairs mit der Data4Policy Initiative und dem GIZ Vorhaben Regional Cooperation in Technical and Vocational Education and Training program in ASEAN (RECOTVET) zusammen.

 

[1] Mitglieder der Task Force sind: General Statistics Office (unter dem Ministerium für Planung und Investitionen), Department of Employment (unter MOLISA) und Institute of Labour Science and Social Affairs (unter MOLISA)