Am 10. und 11. Oktober laden Sie zur International Ministerial Conference on Freedom of Religion or Belief and Artificial Intelligence im BMZ ein. Künstliche Intelligenz und Religionsfreiheit, wie passt das zusammen?
Das passt sehr gut zusammen, auch wenn man das vielleicht nicht gleich vermutet. Die Digitale Revolution hat Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens, auch auf Religion und Weltanschauung. Mit Künstlicher Intelligenz (KI) werden mittlerweile Gottesdienste und Andachten generiert, Roboter kommen als Heiligen-Figur oder buddhistische Gottheit in der Religionsvermittlung zum Einsatz.
Für Gläubige – gerade in abgelegenen Regionen – bieten KI-gestützte Anwendungen verbesserte Zugangs- und Kommunikationsmöglichkeiten, um ihre Religion oder Weltanschauung auszuüben. Ich denke da an virtuelle Räume oder Online-Datenbanken. Das ist gelebte Religionsfreiheit. Auf der anderen Seite bringt der Einsatz von KI auch Gefahren und Herausforderungen für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit mit sich.
Am 8. Oktober haben das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und das BMZ auf der Hamburg Sustainability Conference gemeinsam mit internationalen Partnern Prinzipien für den KI-Einsatz verabschiedet, z. B. zur Diskriminierungsfreiheit und Transparenz von KI-Algorithmen. Wo sehen Sie die größten Gefahren, die KI für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit mit sich bringen könnte?
Die größte Gefahr sehe ich darin, dass KI-basierte Anwendungen nicht ausreichend durch Menschen nach menschenrechtlichen Standards gesteuert werden. Es ließen sich nämlich viele Hassbotschaften, Aufrufe zu Gewalt und Diskriminierungen verhindern, die tagtäglich die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, aber auch weitere Rechte vieler Menschen verletzen.
Ein weiterer Effekt wäre, dass Menschen, die durch immer wieder auf ihre bisherigen Interessen zugeschnittenen Suchergebnisse in ihren Echokammern gefangen waren, dort herauskommen und sich auch online mit der Vielfalt der Welt auseinandersetzten. Die Verabschiedung entsprechender internationaler Rahmenwerke ist deshalb ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich gespannt, von den Expert*innen beim International Ministerial on Freedom of Religion or Belief zu erfahren, was wir noch tun können.
Die Mehrheit der Deutschen sieht in Desinformation eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie. Welche Rolle spielen digitale Technologien in der Verbreitung von Desinformation, und wie beeinflusst dies die Religions- und Weltanschauungsfreiheit?
Digitale Technologien spielen leider eine große Rolle bei der Verbreitung von Desinformation, mit negativen Auswirkungen gerade auch auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit. In Pakistan beispielsweise kommt es leider immer wieder zu Fällen von Mobgewalt gegen einzelne, häufig Angehörige religiöser Minderheiten, weil ihnen vorgeworfen wird, den Koran geschändet oder den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Das geht dann viral und hat leider auch in der jüngsten Vergangenheit zu Todesopfern geführt.
Aus anderen Ländern kenne ich Beispiele dafür, dass bewusst Falschinformationen über Minderheiten und ihre religiösen Praktiken und Traditionen verbreitet werden, um sie auszugrenzen und zur Zielscheibe von Gewalt zu machen. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unseren Beitrag dazu leisten, dass Menschen in unterschiedlichen Sprachen und Regionen Desinformation erkennen und Medienschaffende dem einen verantwortungsvollen Journalismus entgegensetzen können.
Die Hamburg Sustainability Conference soll den Weg ebnen für eine „Hamburg Declaration on Responsible AI“, eine offizielle Erklärung, die 2025 verabschiedet wird. Ziel ist die verantwortungsvolle Nutzung von KI, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und allen gleichermaßen zugutekommt. Wie kann das gelingen und welche Rolle sehen Sie dabei für UNDP?
Künstliche Intelligenz kann hier ebenso wie soziale Medien eine sehr positive Rolle spielen. Insbesondere was die Religionsausübung und die Teilhabe am religiösen Leben betrifft, eröffnen sich da ganz neue Möglichkeiten. So erzählen es mir auch Angehörige unterschiedlichster Religionsgemeinschaften immer wieder. Die neuen Technologien haben auch hier verbindendes Potenzial über den ganzen Globus hinweg, was gerade für Gläubige in der Diaspora und für den interreligiösen Dialog sehr positiv sein kann. Auf der anderen Seite haben sie auch ein diffamierendes und spalterisches Potenzial. Gerade bei den sozialen Medien sind wir noch zu weit von einer Steuerung nach menschenrechtlichen Standards entfernt, auch wenn es dafür erste Ansätze gibt.
Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit gerät weltweit zunehmend unter Druck, oft in Verbindung mit Einschränkungen anderer Menschenrechte. Welche Rolle spielt hier die internationale Zusammenarbeit und ganz konkret die Arbeit des BMZ?
Über die internationale Zusammenarbeit können wir hier eine Menge bewirken – und wir müssen handeln. Schon jetzt können vier von fünf Menschen weltweit ihre Religion oder Weltanschauung nicht ganz frei ausüben, Tendenz leider steigend. Um hier etwas zu erreichen, müssen wir auf mehreren Ebenen ansetzen: Wir müssen im politischen Dialog mit den Regierungen unserer Partnerländer negative Entwicklungen und Defizite klar benennen und auf Augenhöhe gemeinsam nach Lösungen suchen.
Auch in den Projekten unserer Zusammenarbeit müssen wir konsequent nach den menschenrechtlichen Standards arbeiten und genau hinschauen. Ein Beispiel: Aus der Forschung wissen wir, dass Frauen ein vielfach höheres Armutsrisiko haben, wenn sie einer religiösen Minderheit angehören. Das müssen wir bei der Auswahl der Regionen und der Maßnahmen, mit denen wir arbeiten, berücksichtigen. Und wir müssen uns auch immer fragen, wie wir zur Minderung von Konflikten und zum Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen beitragen können.