Tüfteln, testen, weiterbauen: Interview mit Priya Vora, CEO von DIAL

Headshot der DIAL CEO
Es kann so einfach sein: Staat, Verwaltung und Gesellschaft digitalisieren nach dem Lego-Prinzip, einen Baustein nach dem anderen. Dafür kämpft die Digital Impact Alliance (DIAL) seit 2016 und legt einen Schwerpunkt auf Forschung, Technologie, Politik und Länderengagement. Die Allianz ist weltweite Anlaufstelle für eine digitale Transformation, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt – durch praktische Anleitungen und innovative Lösungen. Hierzu hat DIAL gemeinsam mit dem BMZ und weiteren Partnern die Initiative GovStack gegründet, einen Open-Source-Baukasten für die digitale öffentliche Verwaltung. Außerdem kuratiert DIAL die wichtigsten Leitlinien für digitale Entwicklungsprojekte, die „Prinzipien für digitale Entwicklung“. Es gibt also viele gute Gründe, mit Priya Vora, der CEO von DIAL, zu sprechen.
Es ist ein Jahrzehnt her, dass die Grundsätze für die digitale Entwicklung 2014 zum ersten Mal aufgestellt wurden. Wie hat sich die Welt der digitalen Entwicklung seither verändert?

Als ich bei der U.S. Agency for International Development tätig war, war ich maßgeblich an der Ausarbeitung der ursprünglichen Grundsätze für digitale Entwicklung beteiligt. Man kann mit gutem Recht behaupten, dass wir in einer Zeit des „Techno-Optimismus“ lebten, in der wir davon ausgingen, dass der Zugang zu Technologie und relevanten Inhalten, Informationen und Dienstleistungen selbst für die Schwächsten demokratisiert werden könnte. Vieles davon ist nach wie vor gültig und die Digitalisierung ist für 70 % der Ziele für nachhaltige Entwicklung von Nutzen. Seitdem haben sich jedoch drei wichtige Trends entwickelt:

Erstens ist man sich der Risiken stärker bewusst geworden. Beispielsweise hat der Skandal um Cambridge Analytica, verschiedene Desinformationskampagnen und die zunehmende digitale Überwachung zu einem stärkeren Gefahrenbewusstsein beigetragen, dass bürgerliche Freiheiten mithilfe von Daten untergraben werden können. Auch weniger offensichtliche Risiken wie Marktkonzentration und Machtungleichgewichte sind verstärkt in den Fokus gerückt.

Zweitens gibt es eine viel größere Anzahl von Akteuren, die mit beeinflussen, wie sich digitale Lösungen auf die Entwicklungsergebnisse auswirken. Um Schäden zu mindern und Inklusion zu maximieren, brauchen wir passende regulatorische Rahmen: Richtlinien, die den Wettbewerb in Datenmärkten stärken, den verantwortungsbewussten Umgang mit Daten im Privatsektor unterstützen und Leitlinien, die in der Zivilgesellschaft ein Bewusstsein für digitale Rechte fördern.

Schließlich ist da noch das Tempo des Wandels. Die Kolleg*innen von der Weltbank haben dies gut auf den Punkt gebracht, als sie uns daran erinnerten: Es dauerte 75 Jahre, bis Festnetztelefone 100 Millionen Nutzer*innen weltweit erreichten, während Mobiltelefone diesen Meilenstein in nur 16 Jahren erreichten, das Internet in 7 Jahren und ChatGPT in gerade einmal 2 Monaten.

Aus diesen und weiteren Gründen war es sowohl für uns bei DIAL als auch für die Arbeitsgemeinschaft der Prinzipien ein dringendes Bedürfnis, die digitalen Grundsätze aktuell und für die breite Gruppe von Interessent*innen relevant zu halten, die für Vertrauen und Integration in der digitalen Zukunft entscheidend sind.

Warum haben Sie beschlossen, eine aktualisierte Version der Grundsätze zu veröffentlichen? Welche Teile wollten Sie ändern?

Diese Entscheidung haben wir nicht allein getroffen. Hinter den Grundsätzen steht eine engagierte und aktive Gemeinschaft von über 300 Organisationen, die alle die Notwendigkeit einer Überarbeitung anerkannt haben. Gemeinsam haben wir festgestellt, dass die Grundsätze in einigen Bereichen geändert werden müssen: Sie sollen besser widerspiegeln, dass Menschen heutzutage überwiegend außerhalb von Förderungsprogrammen mit Technologie umgehen; sie sollen die Risiken und Chancen besser erfassen, die mit dem Design, dem Einsatz und der Verwaltung digitaler Technologie verbunden sind; und sie sollen Design- und Politikentscheidungen in jeder Phase des Lebenszyklus digitaler Technologie besser berücksichtigen.

Die überarbeiteten digitalen Entwicklungsgrundsätze sprechen absichtlich die ursprüngliche Zielgruppe – Fachleute für digitale Entwicklung – an, während sie gleichzeitig alle Personen und Organisationen ansprechen, die Einfluss auf die Gestaltung, den Einsatz und die Verwaltung digitaler Systeme und Lösungen haben.

Die Grundsätze verstärken sich nun gegenseitig, indem sie die Maßnahmen hervorheben, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass niemand in einer zunehmend digitalen Welt zurückgelassen wird. Nicht nur haben wir eine Präambel ergänzt, die diese übergreifenden Themen und Zusammenhänge hervorhebt. Auch die Grundsätze selbst wurden aktualisiert, um die wichtigsten Konsenspunkte der konsultierten Community-Mitglieder zu berücksichtigen.

Welche Auswirkungen hat Ihrer Erfahrung nach Künstliche Intelligenz (KI) auf die digitale Entwicklung? Was können wir tun, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen?

Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht einfach die nächste technische Modeerscheinung. Expert*innen sind sich einig, dass KI eine transformative Technologie ist. Von der Präzisionsmedizin über intelligentes Energiemanagement bis hin zur finanziellen Sicherheit: Wir erleben bereits jetzt die positiven Auswirkungen dieses generativen Sprungs. Gleichzeitig sehen viele die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft voraus – vom mittelfristigen Verlust von Arbeitsplätzen bis hin zur absichtlichen Verbreitung von Falsch- und Fehlinformationen.

Ich habe am Weltwirtschaftsforum teilgenommen, wo KI unter politischen Entscheidungsträger*innen und Unternehmensvertreter*innen ein ständiges Thema war. Während sich ein Großteil der Gespräche zu Recht auf Sicherheitsvorkehrungen und Regulierung konzentrierte, wurde auch allgemein anerkannt, dass wir Grundlagen schaffen müssen, die sicherstellen, dass KI für die Weltbevölkerung relevant und nützlich ist. Energie, Konnektivität und die digitale öffentliche Infrastruktur, die eine integrative digitale Wirtschaft unterstützt, werden alle benötigt, wenn die Vorteile gleichmäßig zum Tragen kommen sollen.

Priya Vora

Mit anderen Worten: Es besteht die Gefahr, dass das volle Potenzial der KI in den Ländern nicht ausgeschöpft wird, die (a) nicht über wirksame Mittel verfügen, um Daten zu generieren und freizugeben, auf denen neue KI-Modelle und -Algorithmen trainiert werden können, um lokal relevante Lösungen zu entwickeln; (b) in Ländern, in denen die Datenverarbeitung kostspielig oder unerschwinglich ist; und (c) in denen die Fähigkeiten und Kapazitäten für den Aufbau von KI-Tools und Überwachungsmechanismen begrenzt sind.

Dennoch bleibe ich optimistisch. Ich habe meine Laufbahn im Bereich der finanziellen Inklusion begonnen, mit der Hoffnung, Frauen mehr Macht über ihr Geld und Vermögen zu geben. Besonders beeindruckt bin ich von der Energie und der Begeisterung, die sich um digitale Geldbörsen mit KI-gestützten Mitteln zur persönlichen Datenpflege entwickelt. Stellen Sie sich zum Beispiel einen virtuellen Speicherplatz vor, der nicht nur Ihr Geld, sondern auch Ihre Anmeldedaten und Ihre Identitätsdokumente sicher verwaltet und so personalisiert ist, dass Ihre Daten nach Ihren persönlichen Vorlieben freigegeben werden. Eine solche Innovation würde den Menschen tatsächliche Kontrolle geben und es ihnen ermöglichen, ihre Vermögenswerte mitzunehmen und löst hoffentlich eine neue Welle von Diensten aus, die darauf aufbauen.

Die Übernahme der digitalen Entwicklungsgrundsätze ist eine Möglichkeit, die Komplexität der rasanten Entwicklung der KI zu bewältigen – von der Schadensvorhersage und -minderung bis hin zum Design für Inklusion und Gestaltung mit Menschen. Die Grundsätze sind ein wichtiger ethischer Leitfaden zur Verbesserung des Einsatzes generativer KI für die Entwicklung heute und für jede andere Technologie, die sich im nächsten Jahrzehnt als wichtig für die Entwicklung erweisen könnte. Das Schöne an den Grundsätzen ist, dass sie so allgemein gehalten sind, dass sie auf alle noch nie dagewesenen und unvorhergesehenen neuen Technologien oder Fortschritte anwendbar sind.

In den letzten Jahren haben sich die geopolitischen Gräben vertieft. Wird es für DIAL schwieriger, eine gemeinsame Basis zwischen all seinen Partnern zu finden?

Es stimmt, dass es kommerzielle und geopolitische Faktoren gibt, die wir im Auge behalten müssen, wenn wir im Ökosystem der internationalen Entwicklungszusammenarbeit tätig sind. Unsere Mitarbeiter*innen in den Regierungen haben den Auftrag, ihre nationalen Interessen zu schützen, während unsere Partner*innen in den großen multilateralen Institutionen die Aufgabe haben, die schwierigsten gesellschaftlichen Herausforderungen in einem zutiefst gespaltenen globalen politischen Umfeld zu bewältigen. Und doch finden wir in der Digital Impact Alliance viele Gemeinsamkeiten, wenn es um unsere Ziele geht: Inklusion, Transparenz fördern und immer mehr Menschen zu Handlungsfähigkeit verhelfen, damit Digitalisierung zu gemeinsamem Wohlstand führen kann.

Diese Gemeinsamkeiten zu finden, hat reale Auswirkungen – z. B. auf die Möglichkeiten der Online-Beteiligung von Frauen, auf die Art und Weise, wie sie Dienste nutzen können, um ihr Leben zu verbessern, auf ihren Handlungsspielraum oder ihre Möglichkeiten Rechtsmittel einzulegen . Genau deshalb ist eine Reihe gemeinsamer Grundsätze, die im Rahmen einer globalen Konsultation entwickelt wurden, von entscheidender Bedeutung. Wir sehen unsere Aufgabe darin, die globale Gemeinschaft gemeinsam in eine positive Richtung zu bewegen.

Priya Vora

Wie sehen Sie die Rolle Deutschlands in der digitalen Entwicklungszusammenarbeit? Welche Rolle erwarten Sie von deutschen Entwicklungsorganisationen in den nächsten fünf Jahren?

Die Entwicklungszusammenarbeit steht unter Druck, da die Welt mit mehreren Krisen gleichzeitig konfrontiert ist. Wie die meisten anderen Länder auch ist Deutschland von dieser Belastung nicht verschont geblieben. Das wirft die Frage auf: Wie können wir Voraussetzungen schaffen, die den Fortschritt beschleunigen und das Beste aus unseren Ressourcen machen? Hier kann die Digitalisierung eine Schlüsselrolle spielen.

Deutschland hat in Bezug auf die digitale Transformation viel zu bieten. Als erstes Land, das eine nationale Gesetzgebung zur Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verabschiedete, hat Deutschland bereits bewiesen, dass es ein Vordenker ist, wenn es darum geht, einen rechtebasierten Ansatz für die Digitalisierung zu erreichen. Mit der GIZ verfügt das BMZ über eine Entwicklungsorganisation mit Mitarbeiter*innen auf der ganzen Welt und damit über die Expertise, um Wissen zu teilen. Wenn mehr Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen an Strategien arbeiten, um gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen, kann die Wirkung exponentiell sein.

Priya Vora setzt sich seit über 20 Jahren dafür ein, den am stärksten marginalisierten Gemeinschaften der Welt eine politische Stimme und wirtschaftliche Chancen zu geben. Als bekannte und respektierte Führungspersönlichkeit im Bereich der globalen Entwicklung hat sie strategische Partnerschaften und Netzwerke mit einigen der weltweit größten Entwicklungsorganisationen aufgebaut. Priya Vora blickt auf eine nachweisliche Erfolgsbilanz bei der Konzeption von Maßnahmen zur Förderung der finanziellen Inklusion und der digitalen Entwicklung zurück: Bevor sie als Geschäftsführerin zur Digital Impact Alliance kam, gründete sie die gemeinnützige Organisation Future State, die sich durch Forschung und Interessenvertretung dafür einsetzt, dass mehr Menschen von der Datenwirtschaft profitieren. Zu ihrem umfangreichen Hintergrund gehören auch der Aufbau des Teams für digitale Entwicklung in der U.S. Agency for International Development während der Obama-Administration und die Gründung der Financial Inclusion Practice bei der Bill & Melinda Gates Foundation. Neben ihrer Position bei der Digital Impact Alliance ist Priya Vora auch als Non-Resident Fellow am Brookings Institute tätig.