Digitale und grüne Transformationen sind enorme Entwicklungstreiber. Doch erst kombiniert entfalten sie ihre wahre Kraft.
Die Baumwollsetzlinge dürften sich vorkommen wie in einer Freiluftdisko. Stroboskopartiges Licht aus fünf Scheinwerfern scannt das Grün im Boden, sie hängen an einem Gerüst. Langsam bewegt es sich vorwärts, auf einem Acker in Indien – das Metall hängt quer vor einem kleinen Traktor und lässt 25 Düsen eine Flüssigkeit sprühen; die Technologie TartanSense checkt präzise, wie viel an Pestiziden oder an Dünger auf den Boden zu bringen ist. Denn Sprühen geht auch anders. Vorbei kann die Zeit sein, in der Menschen Felder per Hand einnebeln, sich und den Boden gefährden, ihn auslaugen und vergiften. Der kleine Traktor bringt durch Künstliche Intelligenz berechnet nur das Nötigste aus – bis zu 60 Prozent an Mitteln spart er ein. Auf dem Nachbarfeld hat die App einer anderen Firma von Bäuerinnen und Bauern gemachte Fotoaufnahmen der Blätter analysiert. CottonAce Pest Management beschreibt ihnen genau, wie stark ihre Pflanzen von Schädlingen betroffen sind und was sie wann dagegen tun können.
Diese Ackerszene beschreibt nicht die Landwirtschaft der Zukunft, sondern der Gegenwart – mit von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit geförderten Umsetzungen. Längst nutzen auch Kleinbäuerinnen und Kleinbauern digitale Techniken, und es geht nicht nur um bessere Ernte und Rendite, sondern auch um Umweltschutz, um Schonung der Böden und des Klimas. Digitalisierung und Klima: Zu oft wurden bisher zwei Transformationen getrennt voneinander gedacht, wobei sie doch gemeinsam den wirklichen Unterschied ausmachen: die digitale und die grüne hin zu einer klimagerechten Zukunft – innerhalb der natürlichen Grenzen unseres Planeten. Vereint bilden sie die Twin Transition. Noch stehen viele Projekte am Anfang, werden gerade erst angestoßen.
Digitalisierung zeigt in der öffentlichen Wahrnehmung meist zwei Gesichter. Für die einen ist sie Zauberwort technischen Fortschritts, Booster des Wirtschaftswachstums – und für die anderen Jobvernichtung und allgemeine Verunsicherung, die Abkehr von einer vergangenen, vermeintlich besseren Welt. Doch die digitale Transformation hat eine weitere Bedeutung, die weithin unterschätzt wird. Sie ist Teil der Lösung eines der größten Menschheitsprobleme: des Klimawandels.
Allein für Deutschland hat eine Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom ergeben, dass der gezielte und beschleunigte Einsatz digitaler Lösungen entscheidend beim Kampf gegen den Klimawandel helfen kann. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass damit 152 Megatonnen an CO2 reduziert werden können – das entspricht 41 Prozent dessen, was Deutschland einsparen muss, um die selbst gesteckten Klimaziele bis zum Jahr 2030 zu erfüllen. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik. Denn wenn die digitale Transformation Teil der Klimakrisenlösung ist, dann überall. Vor allem Länder im Globalen Süden können mit digitaler Unterstützung Schritte überspringen und nachhaltige Entwicklungspfade einschlagen. Sie bietet eine einzigartige Chance, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Inklusion, grüne Wirtschaft und damit die Gestaltung der Zukunft neu zu denken. Sie ermöglicht den umfassenden und transformativen Wandel, der nötig ist, um die Ziele des Pariser Abkommens und der Agenda 2030 zu erreichen. Twin Transition ist der größte Treiber von Veränderungen – auch und gerade in der Entwicklungszusammenarbeit.
Das BMZ hat die Chancen erkannt und ist sich seiner Verantwortung in diesem Themenfeld bewusst. Dazu wurde bereits 2021 die Initiative zur Twin Transition „Klima und Digitalisierung“ gestartet. In einem ersten Schritt wurden 15 Millionen EUR eingesetzt, um durch gezielte Aufstockungen ausgewählter Initiativen die Twin Transition zu entfalten.
Wie dies aussieht, lässt sich auf mehreren Kontinenten beobachten. In Indonesien helfen künftig mobile Technologien wie Satelliten, die tropischen Wälder zu beobachten und Emissionsquellen frühzeitig zu erkennen. Satelliten identifizieren klimawandelbedingte Landnutzungsveränderungen und zeigen Anpassungsstrategien auf. Und schließlich könnten Blockchain-basierte Technologien für Kohlenstoffmärkte erfasste Emissionen rückverfolgen und verifizieren. Viele dieser Lösungen sind in Zusammenarbeit mit innovativen Digitalunternehmen entstanden. Dieses Potenzial treibt auch den gemeinsam mit der indonesischen Regierung und der lokalen Privatwirtschaft betriebenen GSMA Mobile Innovation Hub voran, der digitale Innovationen an der Schnittstelle von Mobilfunk und nachhaltiger Entwicklung fördert: Start-ups als Innovationsschmieden sind dazu aufgerufen, an lokalen Herausforderungen zu arbeiten – wie etwa das Management von e-Waste oder der Schutz von Wäldern. Oder in Ruanda, wo heftige Regenfälle regelmäßig Erdrutsche auslösen: Ein auf Künstlicher Intelligenz basierendes optisches Monitoring Tool überwacht die Böden und macht drohende Lawinen aus; es wurde mit Hilfe der GIZ realisiert und bietet nun die Chance, um präventiv gegenzusteuern. Oder in Uganda, wo zahlreiche ländliche Gegenden nicht ausreichend elektrifiziert sind und wo dieser Bedarf wiederum mittels Künstlicher Intelligenz (KI) erkannt und mit passenden Energielösungen kombiniert werden kann – damit der Strom effizient dorthin fließen kann. KI hilft auch bei der Suche nach regenerativen Energielösungen für diese Regionen.
Dabei ist immer zu beachten, dass die digitale Transformation selbst erst einmal auch Schattenseiten aufweist, nämlich durch ihren riesigen Energie- und Ressourcenhunger. Twin Transition denkt mit, wie die Treibhausgasemissionen von Rechenzentren und Geräten reduziert werden können. Der Digitalsektor trägt nämlich ungefähr genauso viel zu Emissionen bei wie der Flugsektor. Die Rechenleistung, die benötigt wird, um zum Beispiel eine Google-Suche durchzuführen, liegt bei 0,3 Wattstunden – das entspricht dem Verbrauch einer Energiesparlampe, die eine Stunde brennt. Und eine Stunde Filmschauen auf Netflix entspricht dem Verbrauch eines Kleinwagens, der einen Kilometer fährt.
Mittlerweile ist die Twin Transition auch bei den großen Bewegern angekommen. Auf der diesjährigen Weltklimakonferenz COP 27 im ägyptischen Scharm El-Scheikh erörterten die teilnehmenden Länder in einem eigenen Panel den jeweiligen Bedarf. Bei der Session des COP 27 Ausrichters UNFCCC „Global south – global north cooperation on the digital and green twin transition” wurde über Prozesse der Papierreduzierung in Ruanda diskutiert, über digitale Lösungen zur Anpassung an den Klimawandel im besonders vulnerablen Inselstaat Dominikanische Republik, über Kreislaufwirtschaft und verschlankten Datenverkehr. Digitalisierung ist ein Menschheitsprojekt. Ob wir wollen oder nicht – wir befinden uns auf einer unaufhaltsamen Reise in die Zukunft. Und wir entscheiden darüber, welche Wegpunkte auf dieser Reise entstehen. Twin Transition ist dabei ein Kompass.